Dokument: Mobilmachung, Feuertaufe, Vormarsch und Rückzug

3.1     Mobilmachung

Obwohl nach der Ermordung des Thronfolgers fast jeder einzelne Bürger der österreich.ungarischen Monarchie mit einer bewaffneten Auseinandersetzung rechnete, wurde die am 1.8.1914 an Serbien erfolgte Kriegserklärung  und die darauf folgende allgemeine Mobilmachung von der Bevölkerung doch mit gemischten Gefühlen aufgenommen, umsomehr, als uns Russland als Gegenschlag ebenfalls den Krieg erklärte. Die weiteren Ereignisse, und zwar die Kriegserklärung Deutschlands an Russland, Englands und Frankreichs an Deutschland wurden von der breiten Masse des ungarischen Landvolkes kaum beachtet, da die Nachrichtenübertragung gänzlich ausgeschaltet und Zeitungen nur in Städten verbreitet waren. In diesen aufregenden Tagen verstanden es massgebende Politiker, die nationalen Gefühle der Ungarn in der traditionellen Feindschaft gegen Russland - wegen der Mithilfe an der Niederschlagung des Aufstandes im Jahre 1848 - so aufzuwühlen, dass man die Ungarn mit Recht zu den grössten und verlässlichsten Patrioten der damaligen Monarchie im Kampf gegen die Russen rechnen konnte.

Trotz der vielen, bereits in vergangenen Tagen getroffenen Vorbereitungen zur Mobilmachung setzte nach ihrer Inkrafttretung eine unbeschreibliche Hast ein, denn das Regiment musste schon am zweiten Tag danach in kriegsmässiger Ausrüstung abmarschbereit stehen.

Zur kriegsmässigen Ausrüstung gehörte vor allem die Neueinkleidung der Mannschaft und Umtausch des Sattelzeuges, das Schärfen der Säbel, Ausgabe der Munition, der Verbandspäckchen und der Reserveportionen für Mann und Pferd und vieles Andere mehr.

Alle diese Arbeiten waren bereits im Zeitplan des Mobilmachungs-Planes in Tages-und Nachtstunden, ja sogar in Minuten eingeteilt und mussten, um jedes Durcheinander auszuschalten, genauest eingehalten werden. Ausser allen diesen vorbereitenden Arbeiten mussten die restlichen Bekleidungs-Ausrüstungs- und vorallem die Kaserneneinrichtungs-Gegenstände mit ordentlichen Belegen an das verbleibende Kaderkommando übergeben werden, welche Aufgabe unter normalen Umständen mehrere Tage in Anspruch genommen hätte.

Ich selbst hatte kaum Zeit für meine persönlichen belange, denn ich war in alle diese Arbeiten mehr oder weniger eingeschaltet. Nach der von mir vollzogenen Liquidierung der gesamten Friedensadministrative bestand meine wichtigste Aufgabe darin, jedem Offizier und der Mannschaft die Erkennungsmarke sowie die vorgeschriebenen Reserveportionen auszufolgen, Standeslisten aller mit in's Feld abgehenden Personen und Pferde anzulegen und den Empfang und das Verteilen der Transport-und zusätzlichen Verpflegung auf Küche und Proviantwägen durchzuführen.

Ebenso wichtig waren auch meine Vorbereitungen zur Ausstattung einer Feldkanzlei. In einer mittelgrossen und eisenbeschlagenen Holzkiste mussten für die Verrechnung der Kriegsgebührnisse bestimmten Formulare, die Standeslisten, verschiedene Meldeblocks und unzählige Schreibutensilien, für etwa 3 Monate ausreichend, mitgeführt werden. Trotz der überwältigenden Arbeiten stand, nach zwei kurzen Tagen ohne Rast, die Eskadron - wenn auch abgespannt und übernächtigt - am Abend des zweiten Tages zur ersten Besichtigung auf dem Antreteplatz bereit.

Die Einhaltung dieses im Mobilmachungsplan festgelegten Termines war nur deshalb möglich, weil die Kavallerie, schon in Friedenszeiten auf Kriegsstärke gehalten, keine Ergänzungen von Mann und Pferd benötigte. Die Infanterie-Regimenter dagegen, die in Friedenszeiten kaum mehr als 40% ihrer vorgeschriebenen Kriegsstärke betrugen, mussten erst durch einrückende Reservemannschaften aufgefüllt werden und waren unter Umständen erst nach 10-12 Tagen abmarschbereit. Um diese Zeitlücke zu überbrücken, wurden die Kavallerieeinheiten beschleunigt und als Erste nach den vorbestimmten Aufmarschräumen mit der Aufgabe beordert, die Staatsgrenzen bis zum Eintreffen stärkerer Truppenteile gegen feindliche Angriffe zu sichern. Deshalb die Eile und die bei der ersten Besichtigung vorgefundenen Mängel mussten noch im Laufe der Nacht beseitigt werden, denn nach dem Zeitplan sollte die Eskadron bereits am Morgen des dritten Mobilmachungstages um 10 Uhr zum Abmarsch Aufstellung nehmen.

Bei dieser Gelegenheit wurde uns bekanntgegeben, dass unser Regiment nicht als Ganzes, sondern aufgeteilt zu je 2 Eskadronen als Divisionskavallerie für Aufklärungsdienste bei verschiedenen Infanterie-Divisionen Verwendung finden sollte. Die 3te und 4te Eskadron, der ich angehörte, war für die 33te Inf.Division bestimmt. Dies bedeutete, dass ich mich abermals von meinem Freund Rehwald trennen musste, denn seine Eskadron war für eine andere Inf.Division vorgesehen.

Wir hatten nur wenig Zeit uns zu verabschieden und wünschten uns gegenseitig das Beste. In dieser letzten, in der Kaserne verbrachten Nacht hat wohl kaum Einer Zeit gefunden, sich etwas Ruhe zu gönnen. Vom ersten Morgengrauen an strömten Hunderte von Angehörigen in die Kaserne, um sich von ihren Söhnen oder Geschwistern zu verabschieden. Beim Anblick und in dem Gewühl dieser vielen Menschen kam mir erst richtig zum Bewusstsein, wie verlassen ich war und es überfiel mich eine noch nie gekannte Traurigkeit, denn ich war wohl der Einzige, von dem Niemand Abschied nahm.

Zu Tränen gerührt musste ich auch feststellen, dass die Eltern ihren Söhnen nach altem, traditionellen Brauch in Leinensäckchen Erde ihres Besitzes mitbrachten, damit sie im Todesfalle auf ihrer Heimaterde die letzte Ruhe finden konnten. Es war ein ergreifender Anblick, mit welcher Andacht die abschiednehmenden Soldaten dieses für sie kostbarste Gut um den Hals hängend auf die Brust legten und man hätte ein roher, gefühlloser Mensch sein müssen, um nicht in dieser Situation selbst zu erkennen, wie trostlos und verlassen man unter den vielen Menschen war.

Sogar mein Landsmann, Wachtmeister Siegel aus Podersam bei Saaz, zeigte mir stolz sein Leinensäckchen und sagte treuherzig: "Auch wenn es nicht meine Podersamer Erde ist, so ist sie symbolenhaft ein letzter Gruss meiner lieben Freundin."

Pünktlich um 8 Uhr früh verkündete ein Trompetensignal die Zeit zum Antreten. Schnell noch ein kurzer Händedruck, eine liebevolle Umarmung und tränenden Auges eilte Jeder an seinen Platz. Da die Pferde im Stall bereits gesattelt und die Wägen bespannt waren, nahmen in kurzer Zeit die beiden ersten abmarschbereiten (3 u.4) Eskadronen auf dem Antreteplatz vor dem Regimentsgebäude Aufstellung. Nach einer feurigen und an den geleisteten Eid ermahnenden Ansprache des Obersten, in welcher er die ruhmreiche Tradition des Regiments besonders hervorhob, wurden wir nach einem gemeinsamen Gebet, zu welchem die zum Abschied bestimmte Militärkapelle den Choral "Gebet vor der Schlacht" spielte, durch einen Militärgeistlichen gesegnet.

Bald darauf ertönten Kommandos, die Eskadrons-Kommandanten meldeten dem Oberst den Abmarsch und unter den Klängen des Regiments-Radetzky-Marsches bewegten sich die ersten Kolonen dem Ausgang aus der Kaserne und dem nahen, mit Fahnen und Girlanden geschmückten Bahnhof zu, wo unser Transportzug bereits unter Dampf stand.

Auf diesem kurzen Wege haben sich Hunderte von Menschen angesammelt, die uns durch laute und ermutigende Zurufe, sowie durch Blumenspenden das Abschiednehmen erleichterten.

Am Bahnhof angelangt, vollzog sich die schon im Frieden oft geübte Einwaggonierung von Pferden und Fahrzeugen sehr schnell und pünktlich 2 Uhr (14) nachmittags, wie im Zeitplan festgesetzt, liess der Transportkommandant durch Trompetensignal die Abfahrt des Zuges verkündigen. Nochmals setzte durch Zurufe der Menschenmenge ein ohrenbetäubender, den Abschiedsmarsch der Militärkapelle übertönender Lärm ein und schon rollte der erste Transportzug aus der Garnisonsstadt in's Unbekannte, denn das Ziel der Reise war noch niemandem bekannt.

Obwohl unser Transportzug auf der weiteren Fahrt fast überall stürmisch begrüsst wurde, erlahmte allmählich der Gesang der übermüdeten Soldaten und sie schliefen neben ihren Pferden, auf Stroh gebettet, bald ein. Ich jedoch konnte mir den verdienten Schlaf noch nicht gönnen, denn die Eskadron musste, nachdem sie den Tag über aus Zeitmangel nur mit Speck und Brot verpflegt wurde, am Abend aus der Feldküche eine warme Mahlzeit erhalten. Da die Zeit und der Ort, (Bahnhof) wo die Verpflegung ausgegeben werden sollte noch nicht feststand, war ich verpflichtet, alles so vorzubereiten, damit die Abspeisung so schnell wie möglich erfolgen konnte. Zu diesem Zweck hielt ich mich während der Fahrt auf der mit Küche und Küchenwagen beladenen offenen Eisenbahnlore auf und schaute mir die bisher unbekannte Gegend an.

Wir fuhren längst der Donau über Esztergom, (Gran) dem Sitz des Fürstprimas von Ungarn mit der schönen Erzkathedrale (grösste Ungarns) und als wir den Eisenbahn-Knotenpunkt Waitzen (Vac) passierten und nördlich in Richtung Miskolc einbogen, war uns Allen klar,dass wir gegen Russland eingesetzt werden.

Gegen 7 (19) Uhr abend hielt der Transportzug auf einem grösseren Bahnhof und bald darauf verkündete ein Trompetensignal - bei Transporten die übliche Befehlsform - das Tränken der Pferde und die Verpflegungsausgabe Da für Beides nur eine Stunde vorgesehen war, mussten sich die aus dem Schlaf geweckten Soldaten beeilen und verschlangen mit sichtlichem Wohlbehagen den ersten in der Feldküche zubereiteten ungarischen Goulasch. Auch die Offiziere, die an der Mahlzeit teilnahmen, lobten die Kunst der Köche und die schnelle Abfertigung. Diese war auch notwendig, denn noch vor der Weiterfahrt mussten die Kochkessel gereinigt und für den Frühkaffee mit frischem Wasser gefüllt werden.

Während der Verpflegungspause versammelte sich auf dem Bahnhof eine grosse Menschenmenge, die uns zujubelte und reichlich mit Weintrauben, saftigen Melonen und auch Blumen beschenkte.

Als auch ich mich gestärkt und von den weiteren Vorbereitungen überzeugt hatte, suchte ich der lauen Sommernacht wegen nicht meinen Platz im Personenwagen auf, sondern schlug mein Nachtlager in einem mit Plane gedeckten Proviantwagen auf und schlief auf dem mit Hafersäcken beladenen Wagen königlicher, als in Seide- und Damastbetten.

In den frühen Morgenstunden passierten wir bereits Kaschau, dann ging die Fahrt immer nördlicher dem Duklapass entgegen. Auf einer kleinen Eisenbahnstation, wo die Lokomotiven Wasser nehmen mussten, gesellte sich ein bisher unbekannter Wachtmeister zu mir und stellte sich mit Namen Gurka vor. Er war, wie er sagte, unserem Halbregiment als Feldtelegraphist zugeteilt und erst in der Nacht vor der Abfahrt aus der Heeres-Telegraphenschule Tulln bei Wien eingetroffen. Da seine Heimat Iglau war und er in Tepl.Schönau nahe Verwandte hatte, waren wir bald Freunde. Wir verbrachten bei herrlichem Wetter fast den ganzen Tag auf einem offenen Eisenbahnwaggon und ergötzten uns an den landschaftlichen Schönheiten des Duklapasses, den wir nun zu überwinden hatten. Sorgenlos und zuversichtlich, wie wir damals waren, glich unsere Fahrt eher einer schönen Urlaubsreise als einer solchen in den Krieg.

Nach einer nochmaligen Übernachtung im Transportzug erreichten wir bei Morgengrauen die Grenze Ungarn-Galizien und hielten kurz zur Ausgabe von Verpflegung in Tarnow. So wie überall standen auch hier schon Militärtransporte, die an verschiedene andereFrontabschnitte dirigiert waren. Noch im Laufe des Vormittags traf unser Transportzug in der Station Rzeszow ein und wurde uns dort bekanntgegeben, dass dies unsere Endstation sei. Es war ein grosser Verladebahnhof und herrschte dort ein unbeschreibliches Durcheinander, denn es waren viele Truppen angesammelt, die verladen und abtransportiert werden sollten. Und über allen diesen Heerscharen kreiste, kaum von vielen beachtet, ein einzelner russischer Aufklärungsflieger, der in Ruhe seine Aufgabe - dieTruppenverschiebungen zu erkunden - erledigen konnte.

Damals zu Beginn des ersten Krieges waren die Flugzeuge noch harmlos - ohne Bomben und Bordwaffen - und es ist nicht auszudenken, welches Unheil ein Kampfflugzeug des zweiten Krieges bei so lohnendem Ziel hier hätte anrichten können.

Wir mussten eiligst auswaggonieren und setzten sofort den Marsch nach dem uns vorbestimmten Aufmarschraum der 33ten Inf.Division südlich von Sandomir fort. Dort als erste Truppe angelangt, bezogen wir in der Nähe einer kleinen Ortschaft Freilager und mussten zur Sicherung Patrouillen (Spähtrupps) an die naheliegende russ.Grenze entsenden. Da wir als einzige Truppe noch unsere Friedensuniform (rote Hosen, hellblaue Attila und rotes Tschako) trugen - alle anderen Truppen waren bereits in Feldgrau eingekleidet - erregten wir bei der Bevölkerung besonderen Respekt und wurden allgemein nur "Rote Teufel" genannt. Allmählich kamen weitere Truppenteile an, als erstes leichte Artillerie und Pioniere für Brückenbau, denen Infanterie, Sanitäts-und Verpflegungseinheiten, schwere Artillerie und viele Andere folgten.

Wir wurden täglich über den Umgang mit der feindlichen Bevölkerung, besonders über vergiftetes Brunnenwasser, hinterlistige Überfälle usw. belehrt und waren in ständiger Alarmbereitschaft. Meine erste schwierige Aufgabe bestand darin, die etwa 10-15km längst der russischen Grenze vorgeschobenen Spähtrupps zu verpflegen. Dies geschah meist erst in den Abenstunden und musste ich ohne jede Lagezeichnung (Skizze) in mir gänzlich unbekannter Gegend, nur der Himmelsrichtung nach, die jeweiligen Standorte ausfindig machen und konnte mir bei Dunkelheit nur durch den täglich wechselnden Feldruf und Losung den Zutritt zu ihnen verschaffen. Es war auch in jeder Hinsicht Vorsicht geboten, denn in den nahe der Grenze liegenden Ortschaften waren russische Spione als biedere Bauern verkleidet sichergestellt worden, die Truppenbewegungen auszukundschaften versuchten.

Eines Tages brachte einer unserer Spähtrupps einen Kosaken zum Divisions-Kommando, der im Laufe eines Gefechts mit einer russischen Patrouille gefangen wurde. Es war ein Tscherkesse mit pechschwarzen Haaren und ebensolchem herabhängenden Schnurrbart. Seine Augen leuchteten wie die eines wilden Tieres. Es war der erste Russe, den wir sahen und begafften wir ihn wie ein Wundertier im Zoo, denn er machte auch den Eindruck eines Unmenschen, der Furcht ausstrahlte.

In der zweiten Hälfte des Monats August begann im ganzen Aufmarschraum des 5ten Armeekorps, dem wir mit der 33ten Inf.Division unterstellt waren, ein lebhaftes Treiben und die Vorbereitungen deuteten auf ein baldiges beginnen der Kampfhandlungen. So war es auch, denn bald darauf erhielt unser Halbregiment den Befehl, zusammen mit Verbänden von leichter Artillerie und Inf.Einheiten den Brückenbau über die Weichsel bei Sandomir zu sichern und nördlich der Stadt einen Brückenkopf zu bilden. Wir passierten nach der Fertigstellung auch als erste Truppe die Pontonbrücke und befanden uns somit erstmalig auf feindlichem Boden. Der Empfang durch die Bevölkerung war nicht gerade einladend und es folgten uns auf Schritt und Tritt nur finster-drohende Blicke, die uns die Wichtigkeit der vielen Belehrungen über das Verhalten im Feindesland bestätigten.

Für uns bestand das allgemeine Verbot, sich mit der Bevölkerung abzugeben und sich einzeln oder gar unbewaffnet in den Strassen des Städtchens zu bewegen. Durch die strenge Anordnung befand ich mich in einer argen Zwangslage, denn ich litt seit zwei Tagen an furchtbaren Zahnschmerzen, die mich fast zum Wahnsinn trieben. Hier in Sandomir bot sich mir die beste Gelegenheit eine Linderung meiner Schmerzen dadurch herbeizuführen, indem ich mir in der Apotheke irgend eine Medizin oder dergleichen besorgen konnte. Nun traten bei mir Bedenken auf, wie der Apotheker gegen uns Feinde eingestellt und was er mir wohl aus Hass schädliches antun könnte. Nach vielen Überlegungen siegte am Ende doch der Schmerz und ich betrat mit gemischten Gefühlen die Apotheke. Zur Vorsorge habe ich mir einen Unteroffizier mitgenommen, dem ich aber meine Befürchtungen nicht preisgab, sondern er sollte mehr zum Abschrecken des Apothekers fungieren. Ohne viel zu fragen erkannte der jüdische Apotheker sofort mein Leiden und bot mir verschiedene Tropfen und Tabletten an, die ich jedoch aus bestimmten Gründen verweigerte. Dann mixte er aus verschiedenen Fläschchen eine Flüssigkeit, liess mich daran riechen und die Schmerzen waren wie ausgelöscht. Es musste sich um eine Art von Betäubungsmittel (Äther) gehandelt haben, denn er war nicht dazu zu bewegen, mir auch nur die kleinste Menge davon zu verkaufen, verlangte aber auch kein Entgelt für die Behandlung. Ich war jedenfalls froh, auf diese ungefährliche Weise von meinen Schmerzen befreit worden zu sein, bedankte mich und verliess zufrieden das Haus.

Da nun ununterbrochen mehr Truppen nachrückten, mussten wir weiter nördlicher vorgeschoben werden und es befanden sich unsere Aufklärungs-und Sicherungsabteilungen fast ständig im Gefecht mit Kosaken, welche die Gruppierung der Heeresverbände zu stören versuchten. In diesen Spähtrupp-Gefechten zeichnete sich ein Unteroffizier der Eskadron durch besondere Tapferkeit aus. Er sollte von einer weit vorgeschobenen Offiziers-Patrouille eine wichtige Meldung über gesichtete feindliche Truppen an das Divisionskommando überbringen. Auf seinem Ritt geriet er in einem Hohlweg auf einen, aus etwa 10 Mann bestehenden russischen Infanterie-Streifzug, der ihm den Weg zu versperren und gefangen zu nehmen versuchte. Kurz entschlossen spornte er sein Pferd zum Galopp, zog den Säbel und schlug sich den Weg frei, sodass er ungehindert die Meldung übergeben konnte. Für diese mutige Tat wurde er als erster der Eskadron mit der silbernen Tapferkeitsmedaille erster Klasse - für die er noch 15 Kronen monatlich als Zulage erhielt - ausgezeichnet. Als Gegensatz zu dieser erwiesenen Tapferkeit erhielt der Wachtmeister Kocsi von der Nachbareskadron die goldene Tapferkeitsmedaille - mit 30 Kronen monatlicher Zulage - für den Abschuss eines russischen Fliegers. Der Abschuss war ein reiner Glückszufall, denn er hatte durch einen Schuss aus dem Karabiner den Benzintank des niedrig fliegenden Flugzeuges getroffen und es zum Absturz gebracht. Diese ungerechte Auszeichnung erweckte bei Vielen von uns Unwillen, weil hier weder Heldentum noch Tapferkeit vorlagen.


3.2     Feuertaufe und Vormarsch

Nachdem nun die verstärkten Kavallerie-Aufklärungstruppen sowie eingesetzte Flieger im Raum von Lublin starke russische Truppenverbände sichergestellt haben, setzte in der zweiten Hälfte des Monats August unser 5tes Armeekorps die im Aufmarschraum zusammengezogenen Truppen in Eilmärschen zum Angriff an.

Bedauernswert bei diesem Einsatz waren vor allem die Infanterie-Einheiten, denn sie mussten nach vielstündigen, ohne Rast zurückgelegten Gewaltmärschen sofort in den Kampf eingreifen, obwohl sie durch die Last ihrer mehr als 30kg schweren Feldausrüstung bereits bis zum äussersten erschöpft waren.

Wieviel leichter hatten es die Schützen (Infanterie) des 2ten Weltkrieges, denn sie wurden nur mit leichtem Kampfgepäck auf Panzerfahrzeugen bis in die Kampflinie gefahren und waren demzufolge kampffrisch und viel beweglicher.

Diese meine allgemeinen Betrachtungen können auch auf die Zugpferde der Artillerie, insbesondere wegen der schweren, gepanzerten Munitionswagen in Anwendung gebracht werden. Sie wurden auf den ausgefahrenen Feldwegen über alle Hindernisse hinweg, über Bachläufe usw. durch Peitschenhiebe bis zur gänzlichen Erlahmung ihrer Kräfte getrieben.

Dieser Vormarsch wurde mit so einer Hast durchgeführt, dass sich ohne jeden Zweifel erkennen liess, dass sich eine grosse Schlacht anbahnte. Auch wir bekamen den Befehl, mit dem Gefechtstrain (Küche und Verpflegungswagen) unseren weit vorgeschobenen Kavallerie-Eskadronen zu folgen. Aber wir kamen nicht weit, denn die Wege waren mit Artillerie und Munitionskolonnen verstopft. Durch den Befehl eines Generalstabsoffiziers, der anordnete: "Weg frei nur für Artillerie und Munitionskolonnen" wurden wir mit anderen Verpflegungskolonnen vom Wege abgedrängt und standen machtlos in einem kleinen Wäldchen abseits des Weges. Bald darauf hörten wir schon das Hämmern der Maschinengewehre und das Jaulen der Artilleriegeschosse. Wir alle kannten diese schauerliche Musik bereits von den Truppenübungsplätzen her, wo zur Ausbildung auch scharf geschossen wurde. Als aber die Einschläge immer näher kamen - weil die Russen das Feuer auf den Truppen-und Munitionsnachschub verlegten - und die ersten Grananten und Schrapnells über unseren Köpfen explodierten, wurde uns erst der ganze Ernst des beginnenden Krieges richtig bewusst. Dieser Feuerüberfall auf die Nachschubwege blieb nicht ohne Folgen. Durch den Hagel der explodierenden Geschosse scheu gewordene Pferde warfen die Wägen um und versprerrten somit den Weg. Es entstand ein unbeschreibliches Durcheinander und in dieses Knäul von toten Menschen und Pferden sowie umgestürzten Wägen setzte der Feind sein vernichtendes Artilleriefeuer verstärkt ein.

Auch wir, die abseits des Weges stehenden Kolonnen, hatten Menschen-und Materialverluste. Mit grösster Mühe spannten wir die scheuen und wild um sich schlagenden Pferde ab und versuchten diesem Inferno durch den zum Teil schon in Brand stehenden Wald zu entkommen. Erst in den späten Abendstunden, als die feindlichen Batterien durch unsere Artillerie ausser Gefecht gesetzt wurden und der Beschuss nachgelassen hatte, kehrten wir an den Ort des Grauens zurück und dankten Gott, dass wir noch so unbeschadet die Feuertaufe überstanden und dem drohenden Unheil entrinnen konnten. Sofort eingesetzte Pioniereinheiten räumten die umgeworfenen Fahrzeuge und Pferdekadaver vom Weg, ebneten halbwegs die durch Granatlöcher unpassierbar gewordenen Stellen für den Munitions-und Verpflegungsnachschub, den die im Kampf stehenden Truppen so dringend benötigten. Als sich die aufgestauten Kolonnen langsam wieder in Bewegung setzten, konnten auch wir unseren Vormarsch fortsetzen. In zwei Reihenkolonnen - Artillerie und Munition immer im Vorrang - ging es die ganze Nacht durch auf aufgewühlten, durch Baumäste und Prügelholz ausgebesserten Wegen dem tobenden Schlachtfeld entgegen.

Unseren müden Augen bot sich ein schauerliches Bild, denn der Himmel war durch die Brände ganzer Dörfer blutrot gefärbt und dazwischen das ständige Blitzen explodierender Geschosse. So unheimlich auch alles aussah, selbst der immer stärker einsetzende Kanonendonner vermochte nicht, die an diesem Vormarsch beteiligten Soldaten durch irgendwelche ängstliche Beklemmungen abzuhalten, im Gegenteil, jeder Einzelne drängte und wollte selbst als Kämpfer dabei sein. Gegen 11Uhr vormittags erreichten wir ein auf einer kleinen Anhöhe liegendes, aber durch die Kämpfe der vergangenen Nacht völlig eingeäschertes Dorf. In einem noch halbwegs verschonten Gebäude mit Stallungen und Scheune war ein Verbandplatz eingerichtet und bot sich uns ein unvergessliches Bild des Grauens. Auf Stroh gebettet lagen die Schwerverwundeten, mit zum Teil von Granatsplittern abgerissenen Gliedern, dem Tode geweiht, jammerten oder schrien laut nach ihren Müttern. Wer solche Todesschreie jemals gehört hat, klingen ihm diese ständig in den Ohren und kann sie sein Leben lang nicht vergessen. Jede Hilfe war hier vergebens, denn die wenigen anwesenden Ärzte konnten mit dem ihnen zur Verfügung stehenden Verbandsmaterial kaum eine Linderung der Schmerzen bringen. Hinter der Scheune lagen bereits mehrere Stapel toter Helden, die für Kaiser und Vaterland ihr Leben opferten.

Und unter all diesen Jammernden, Schreienden und Toten sah ich einen General, der angesichts dieser Machtlosigkeit über Leben und Tod wie ein kleines Kind weinte. Immer wieder murmelte er die Worte: "Herr vergib mir, es ist nicht meine Schuld". Man sagt im allgemeinen, dass Offiziere, welche das Kriegshandwerk betreiben, ein hartes Herz haben. Dieser General war eine Ausnahme, er hatte ein weiches, mitleidiges Herz und schämte sich nicht seiner Tränen.

Von der am Ortsrand den Verkehr regelnden Feldgendarmerie erfuhren wir, dass hier der Sammelplatz der Verpflegungskolonnen der 33ten Inf.Division sei und es wurde uns auf freiem Felde ein Lagerplatz zugewiesen. Im weiterem Umkreis lagerten bereits Truppen mit ihren Küchen- und Verpflegungswagen. Auch wir fanden bald mehr als die Hälfte unserer Eskadron vor.

Auf der Suche nach Brunnenwasser für die Küche durchstreifte ich mit mehreren Soldaten das verwüstete Dorf und stiessen wir überall auf Schützengräben, in welchen noch viele gefallene Russen lagen. Überhaupt im ganzen Gelände, welches noch vor kurzem das Schlachtfeld war, sahen wir zerstreut viele Tote, aber man war von den Ereignissen der letzten Stunden so abgespannt, dass bei kaum einem von uns auch nur die geringste Gefühlsregung aufkam.

In der Zwischenzeit trafen auch die Reste der Eskadron - die als Begleitung von Gefangenen zu den Sammelstellen eingesetzt waren - ein und wir bereiteten für die hungrigen Soldaten ein warmes Essen vor.

Es war gegen 8 (20) Uhr abends, da hörten wir von den - das Freilager sichernden Feldwachen - stärkeres Infanteriefeuer, dem wir zuerst keine grosse Bedeutung schenkten, obwohl ein Gerücht laut wurde, dass sich in der Nähe mehrere, durch die Schlacht versprengte Kosakeneinheiten befinden sollten. Nach kurzer Pause, - es wurde langsam dunkel, - setzte nochmals, diesmal aber ein überfallartiges Maschinengewehrfeuer derFeldwachen ein und es wurden auch die ersten Kommandos "Alarm" laut. In diese nun zur Panik gesteigerten Nervosität erschollen wiederholt verschiedene kommandoartige Rufe wie "Kosaken kommen", "Satteln", "Nicht satteln", "Karabiner ergreifen", "Aufsitzen", "Nicht aufsitzen" und vieles andere Durcheinander. Das ganze Freilager glich einem Hexenkessel, niemand wusste, was eigentlich los war und jeder schoss nach seinem Gutdünken um sich herum im Glauben, eine ganze Division Kosaken wäre über uns hergefallen. In diesem heillosen Durcheinander rissen sich die scheu gewordenen Pferde von den Holzpflöcken und galoppierten, von allen Seiten angeschossen, wild im Lager herum und vervollständigten damit das ohnehin schon unbeschreibliche Chaos.

Mein Reitpferd, das am Wagenrad eines Verpflegungswagens angebunden war, konnte sich trotz aller Gebärden nicht losreissen und hatte ich die grösste Mühe, es zu halten. Nach den verschiedenartigen Befehlen :"Satteln, Aufsitzen" usw. warf ich Decke und Sattel auf das sich wild aufbäumende und umsichschlagende Pferd, und zog, soweit es mir möglich war, die Gurte fest. Auf ein Aufzäumen war bei dem wildgewordenen Tier nicht zu denken und einfach unmöglich. Ich schwang mich - nachdem ich den Halfter vom Wagenrad löste und fest in der Hand hielt - mit einem Satz in den Sattel und sass nun wie ein Cowboy auf dem Rücken eines wilden Pferdes und war diesem, ohne Zügel, voll und ganz ausgeliefert.

Mein Pferd gesellte sich zu der wild herumgaloppierenden Herde und ich hatte grösste Mühe, mich auf dem nur lose gegurteten Sattel zu halten und hielt ich mich wie ein Clown im Cirkus am Halse des Pferdes fest. Es war ein Ritt auf Leben und Tod und meine Gedanken waren nur darauf eingestellt, nicht aus dem Sattel zu fallen und unter die Hufe der nachtrabenden Pferde zu kommen. Ich war immer noch im Glauben, dass ich mich in einer Schar von Reitern befinde, doch musste ich an einer Anhöhe im Blickfeld gegen den Horizont zu meinem Schrecken feststellen, dass dies nicht der Fall war. Ich sah nur die Silhouetten der mehr als Hundert zählenden losen Pferdeherde, unter der ich mich als einziger Reiter befand.

Mein einziges Bestreben bestand jetzt darin, mich aus dieser Herde herauszulösen und in's Lager zurückzukehren. Ein glücklicher Umstand, dieses gewagte Vorhaben durchzuführen, kam mir dabei zu Hilfe. In der wilden Jagd sah ich - wenn auch nur in Umrissen - wie zahlreiche, vor mir galoppierende Pferde beim übersetzen eines Grabens stürzten, sich aber wieder hochrafften und dann - manche hinkend - weiterliefen. Blitzschnell fasste ich den Entschluss, mein Pferd bewusst zum Sturz zu bringen und es dabei so lange am Boden zu halten, bis die übrigen Pferde an mir vorbei waren. Ich klammerte mich noch mehr an den Hals des Pferdes, verlegte dabei mein ganzes Gewicht nach vorn und bezweckte damit, dass mein Gaul nur zu kurz springen konnte und im Graben zu Fall kam. Durch den Aufprall auf die Erde rutschte ich vom Pferdehals auf die am Boden ausgestreckten Vorderfüsse, erfasste den Halfter und hielt das am Boden liegende Pferd fest. Es war bestimmt keine leichte Arbeit und bedurfte aller meiner Kraftanstrengung, denn das vor Erregung am ganzen Körper zitternde Tier wollte sich mit aller Gewalt befreien und das unselige Rennen fortsetzen.

Nachdem es mir halbwegs gelang, das erregte Pferd durch Zurufe und Beklopfen des Halses zu beruhigen, ordnete und befestigte ich den Sattel, - die Decke habe ich wärend des Rittes verloren, - benutzte den Halfter als Zügel und überlegte, welche Richtung ich jetzt einschlagen soll, da ich durch den Ritt die Orientierung gänzlich verloren habe. Nun stand ich, selbst völlig verstört, allein auf weiter Flur, umgeben von Kampflärm aus allen Himmelsrichtungen. Hier war guter Rat teuer und da die Pferde weit grössere Köpfe haben und bekanntlich durch einen angeborenen Instinkt leichter zur Futterkrippe finden, überliess ich diesem vorerst die Führung.

Über ein Ackerfeld kamen wir zu einem Waldstück, an dessen äusserer Seite ein Feldweg führte, den das Pferd einschlagen wollte. Ich jedoch hatte in Unkenntnis der ganzen Gefechtslage immer noch Bedenken, ob sich - wie die Gerüchte besagten - doch noch in der Gegend zerstreute Kosaken herumtrieben, denen ich so hilflos und unbewaffnet, wie ich war, auf keinen Fall begegnen wollte. Schon aus diesem Grunde bog ich in den Wald hinein und ritt etwa 100m abseits, aber immer in Richtung des Feldweges. Es vergingen keine 20 Minuten der Einsamkeit, da hörte ich von weitem das Herannahen eines grösseren Kavallerie-Trupps. Mein erster, aus panischer Angst ausgelöster Gedanke war, dass die Kosaken kommen. Immer näher kam das dumpfe Aufschlagen der Pferdehufe und ich konnte auch schon feststellen, dass der Trupp von hinten kam. Zu meiner Angst gesellte sich noch die Befürchtung, dass mich mein schon wieder in Unruhe geratenes Pferd durch freudiges Wiehern - wie bei Pferden zur Begrüssung üblich - verraten könnte. Ich zog mit letzten Kräften die durch Halfter ersetzten Zügel so fest an, dass es den Kopf bis an die Brust senken musste und in dieser Stellung keinen Laut von sich geben konnte. Um selbst kein allzu grosses Ziel abzugeben, beugte ich mich so weit wie möglich über den Hals des Pferdes und erwartete klopfenden Herzens, was sich nun ereignen wird. Ich war noch dabei, mir die schlimmsten Folgen aus der Situation, in welcher ich mich befand auszudenken, als am Waldrand donnernd der von mir gefürchtete Pferdetrupp vorbeisauste. Wenn auch etwas erleichtert, so musste ich doch mit Schrecken feststellen, dass es wieder dieselbe wilde und reiterlose Pferdeschar war, der ich erst vor kurzem glücklich entronnen bin. Nun war mein Gaul auch nicht mehr zu halten, bäumte sich auf und ehe ich etwas dagegen unternehmen konnte, war ich wieder in diesem Hexenkessel drin. Mein Vorteil lag diesmal darin, dass ich durch die Zügelführung halbwegs imstande war mein Pferd zurückzuhalten und dem Trupp mit einem kleinen Abstand folgen konnte. Wiederum empfing uns Gewehrfeuer -die Pferde verlangsamten ihr Tempo - dann vernahm ich freudiges Pferdegewieher und endlich als Erlösung deutsche Kommandorufe. Wir waren auf dem Parkplatz einer Sanitätskolonne gelandet und es herrschte dort - wie fast überall durch die verbreiteten Gerüchte von versprengten Kosaken - eine allgemeine Unruhe. Ich musste dem Kommandanten der Kolonne sofort über die Vorgänge in unserem Lager berichten und bat ihn, meine Eskadron benachrichtigen zu lassen, damit die hier zugelaufenen Pferde abgeholt werden.

Von dem angestrengten Ritt selbst stark mitgenommen, wurde ich immer wieder mit Fragen bestürmt, wie es zu dem Überfall auf unser Lager - so wurde dort jedenfalls behauptet - gekommen sei. Ohne irgendwelchen Anlass dazu gegeben zu haben wurde ich für meine mutige Tat und das Zurückführen der vielen Pferde als Held angesehen und dementsprechend behandelt. Im Inneren jedoch schämte ich mich meiner ausgestandenen Ängste, aber das brauchte ja niemand zu wissen. Noch im Laufe des Tages traf ein Leutnant unserer Eskadron mit entsprechender Begleitmannschaft zum Abholen der Pferde ein. Es wurden insgesamt 87 als zum Regiment gehörend sichergestellt, gekoppelt und ab ging es zu unserem etwa 20km entfernten Lager. Dort angekommen erwartete uns schon unser Rittmeister und schlug beim Anblick seiner Pferde verzweifelt die Hände über den Kopf zusammen, denn was er kommen sah, waren keine Reitpferde mehr, sondern vom Sturz lahme, zerschundene, vor allem aber aus vielen Wunden blutende Klepper. Wie schon dem Kommandanten der Sanitätskolonne, so musste ich auch hier vor Offizieren des Generalstabes der Division über den ganzen Verlauf meines Rittes berichten und es wurde ganz besonderer Wert auf die Feststellung gelegt, dass ich weder einem Kosaken begegnet noch gesichtet habe. Diese Feststellung war unerlässlich, schon deshalb, weil vom Div.Kommando bereits Nachforschungen eingeleitet waren um zu ermiteln, wer den Alarmbefehl gegeben und für das unheilvolle Durcheinander verantwortlich war. Der eigentlich Schuldige wurde und konnte nie ermittelt werden, weil hier in erster Linie eine Art Hysterie als Folge überreizter Nerven die Ursache war, wodurch viele Soldaten und Pferde den Tod fanden und verwundet wurden.

Die im Gang befindliche Schlacht tobte mit unverminderter Stärke weiter und auch unsere Eskadron war - trotz der Verluste an Pferden - im Verein mit der Division an den Gefechten beteiligt. Ständig im Vormarsch war es meine Aufgabe, mit dem mir unterstellten Gefechtstrain den Truppen zu folgen und es ergab sich öfter, dass ich nach mehrstündigen Märschen meine Eskadron, für die ich Verpflegung und Pferdefutter nachführte, nicht fand. Auf mich selbst angewiesen, suchte ich durch Nachforschungen bei verschiedenen Kommandostellen die Verbindung mit meiner Truppe herzustellen, die meistens in Gruppen zur Verfolgung des im Rückzug befindlichen Feindes oder zur Aufklärung neuer feindlicher Stellungen eingesetzt war.

Auf diesen Märschen zur Front begegneten wir fast täglich unzähligen Transporten von Kriegsgefangenen und staunten, dass sie trotz sommerlichen Wetters Pelzmützen und bis an die Knöchel reichende lange Mäntel trugen. Eines Tages, als ich wieder auf der Suche nach meiner Eskadron war, wollte ich ein abseits des Weges liegende und von der Bevölkerung verlassene Dorf besichtigen in der Annahme, dort Truppen zu finden, die mir Auskunft über unsere Husaren geben konnten. Ich bog daher vom Wege ab und ritt allein dem Dorf zu, welches in seiner ganzen Umgebung Spuren von Kampfhandlungen vergangener Tage aufwiess. Nur die Richtung auf die nächsten Bauernhöfe einhaltend und in Gedanken versunken achtete ich nicht auf den Weg, als mein Pferd unverhofft einen scheuen Seitensprung machte, sodass ich nur mit knapper Not einen Sturz aus dem Sattel verhindern konnte. Ehe ich mir das recht merkwürdige Verhalten des Pferdes erklären konnte, erblickte ich in einer längst des Feldweges verlaufenden Mulde eine Gruppe von etwa 10-12 Russen, die teils auf der Erde lagen oder sitzend nach vorn gebeugt ihre Gewehre fest umklammert hielten. Der Schreck, den der Anblick dieses Bildes in mir auslöste, lähmte meine Glieder derart, dass ich für Sekunden unfähig war klare Gedanken zu fassen. Erst später, als ich merkte, dass es sich um Tote handelte, die von der Geschossgarbe eines Maschinengewehrs erfasst und buchstäblich niedergemäht waren, gewann ich meine Sicherheit wieder. Das Ganze war so schauerlich anzusehen und die bereits in Verwesung übergangenen Leichen verbreiteten einen derartigen Pestgestank, der mich zum eiligen Verlassen dieser grausigen Stätte zwang. Ich verzichtete auf die mir vorgenommene Durchsuchung des Dorfes, wandte rasch mein Pferd und ritt meiner Wagenkolonne nach.

An diesem Tage fand ich meine Eskadron erst in den späten Abendstunden in einem grösseren Ort, wo auch das Divisionskommando untergebracht war. Zu meinem grössten Bedauern musste ich dort erfahren, dass mein Landsmann, der Wachtmeister Siegel aus Podersam bei einem Erkundungsritt durch einen Lungenschuss schwer verwundet wurde. Da ich ihm schon früher das Versprechen abgab, in allen Fällen seine Mutter zu benachrichtigen, suchte ich die erste Gelegenheit, mit der vom Divisionskommando abgehenden Feldpost dieses mein Versprechen einzulösen.

In diesem Dorf mussten wir - da sich inzwischen die bisher bewegliche Front versteifte - einige Tage rasten. Diese Zeit verwendeten wir nutzbringend mit der Überprüfung verschiedener Mängel und Ergänzungen der inzwischen verbrauchten Reserve-Verpflegungsportionen und anderen wichtigen Aufgaben. Dem Divisions-Kommando unterstand organisatorisch auch ein Feldgericht und eines Tages erfuhr ich, dass dieses Gericht drei Männer und eine Frau, (alles Russen) die dabei ertappt wurden, dem Feind durch Zeichen und Signale unsere Artillerie-Stellungen verraten zu haben, zum Tode durch Erschiessen verurteilt hat und die Exekution am Nachmittag vollzogen wird. Weder aus Sensation noch Neugierde, sondern weil man aus solcher Gelegenheit, die sich nicht jeden Tag bietet verschiedenes lernen kann, beschloss ich, mir die Vollstreckung des Todesurteiles mit anzusehen.

Der Ort, der zu dieser gerichtlichen Handlung ausgewählt wurde, war ein ausserhalb des Dorfes befindlicher Hügel, auf welchem eine aus Schindelholz bestehende russisch-orthodoxe Kapelle stand. Bei meinem Eintreffen waren schon mehr als Hundert der dortigen Landbevölkerung, Männer und Frauen anwesend, die zwecks Abschreckung dem Vollzug des Todesurteiles beiwohnen sollten und von der Feldgendarmerie dorthin beordert wurden. Nach kurzer Pause erschienen die von Feldgendarmen eskortierten und an den Händen gefesselten Deliquenten, denen ein Geistlicher der orthodoxen Kirche, ein mit Rot-Kreuzbinde gekennzeichneter Militärarzt, eine Abordnung von Offizieren als Ankläger, dann die Feldrichter und als Abschluss dieses, dem unbeteiligten Zuschauer sich botenden schauerlichen Zuges das Exekutions-Kommando unter Führung eines Offiziers und 12 Mann mit Gewehr bewaffneten Soldaten folgten. Nach erfolgter Aufstellung wurden den Verurteilten zuerst die Anklageschriften mit Urteil vorgelesen, verdolmetscht und nach ihren letzten Wünschen gefragt.

Ich bewunderte den Mut und die Standhaftigkeit der kurz vor dem Tod stehender Männer, insbesondere aber der Frau, die ohne Zeichen von Angst oder Schwäche, aber auch ohne Regung dastanden. Dann trat der Geistliche vor, sprach ihnen Trost zu und sie küssten das vorgehaltene russisch-orthodoxe Kreuz. Darauf wurden ihnen die Augen verbunden.

Lautlos, ohne Kommando - wie es die Vorschrift sagt - traten die zur Vollstreckung des Urteils durch Los bestimmte Soldaten, - denen bekanntlich um Gewissensbisse zu vermeiden, schon geladene Gewehre ausgehändigt werden - etwa 15-20 Schritte vor den Deliquenten in zwei Reihen und zwar die erste knieend, die zweite stehend mit Gewehr bei Fuss an. Nur auf ein kurzes Zeichen mit dem Säbel des Offiziers nahmen die Soldaten die Gewehre in Anschlag und feuerten nach Senkung des Säbels zur Erde die todbringende Salve ab.

Der Anblick war erschütternd, denn man wurde gewahr, wie schnell ein Menschenleben ausgelöscht werden kann und es gehörten gute Nerven und ein starkes Herz dazu, um nicht vor innerer Aufregung in Ohnmacht zu fallen, wie es einigen der Zuschauer erging. Nach der Salve fielen die Verurteilten wie Holzklötze um und es bedurfte keines der üblichen Gnadenschüsse mehr, denn der vom Feldgericht dazu bestimmte Arzt meldete den eingetretenen Tod und damit war der Vollzug des Urteils bestätigt. Die Hingerichteten wurden unter Aufsicht der Feldgendarme an Ort und Stelle ohne irgendwelcher Zeremonie verscharrt und das Feldgericht verliess mit seiner Begleitung den Schauplatz des Geschehens.

Ich selbst musste noch lange nach diesem Erlebnis meine innere Erregung niederkämpfen und fand am Abend wegen verschiedener Gedankengänge, die sich auf die Ereignisse der letzten Stunden bezogen haben, lange keinen Schlaf.

Während der kurzen Ruhetage fällte das Feldgericht noch andere, - wenn auch nicht so drastische, - so doch wegen ihrer Eigenart erwähnungswerte Urteile. Da der Wagenpark des Div.Kommandos unzureichend war und aus heereseigenen Beständen nicht gedeckt werden konnte, wurden schon beim Durchmarsch in Galizien, so auch nachher im Feindesland etwa 30 landesübliche Wagen samt Bespannung und Führung (Mann und Pferde) herangezogen und bildeten eine besondere Abteilung des Divisionstrains.

Wie unter solchen Menschen üblich, waren hier Reibereien, Schlägerei. Diebstahl und andere Missgriffe an der Tagesordnung, sodass zur Aufrechterhaltung von Zucht und Ordnung strenge Massnahmen erforderlich waren. Zur Regelung aller dieser Fälle war nur das Feldgericht zuständig und verhängte über die Urheber - welche aber nicht in allen Fällen einwandfrei ermittelt werden konnten - Strafen, die noch aus dem Mittelalter stammten und dort Anwendung fanden.

So zum Beispiel wurden dem Verurteilten gleichzeitig die linke Hand mit dem rechten Fuss zusammengekettet und musste dieser volle 24 Stunden in liegender Stellung verbringen, ohne die Möglichkeit sich wenden zu können. Oder 6 volle Stunden mit auf dem Rücken gebundenen Armen an einen Pfahl so gefesselt, dass der Betreffende nur mit den Fuss-Spitzen die Erde berühren konnte. Eine besondere Art des Strafens war das Spiessrutenlaufen, wobei der Sträfling eine Menschengasse - meist der seiner eigenen Kläger - durchlaufen und Riemenschläge auf den nackten Oberkörper erdulden musste. Die schmerzvollste aller Arten von Strafen war jedoch das Aufzählen bis zu 25 Stockhieben auf das nackte Hinterteil.

Bei allen diesen Strafen wurde der Vollzug im Beisein eines Richters und unter Aufsicht von Feldgendarmen, meist von Männern aus den eigenen Reihen angeführt, wobei Rache und Vergeltung die grösste Rolle spielten. Alle diese Strafen waren mit dem Entzug der Verpflegung für 24 Stunden verbunden. Eines Tages war ich durch Zufall Zeuge einer solchen Gerichtsverhandlung. Ein junger Gespannführer (Kutscher) beschuldigte - offensichtlich aus Rache - einen etwa 50jährigen Mann des Diebstahls und führte ettliche Zeugen an, die seine Angaben wunschgemäss bestätigten. Obwohl der Angeklagte seine Unschuld beteuerte, wurde er unter der Last der Zeugenaussagen trotzdem zur Strafe mit 25 Stockhieben verurteilt und musste den Vollzug an Ort und Stelle über sich ergehen lassen.

Bei jedem der Stockhiebe schrie der Alte auf, krümmte sich vor Schmerz und aus seinen Augen quollen unversiegbar die Tränen. Mir tat der so gemassregelte Mann sehr leid und hatte ich das untrügliche Empfinden, dass er unschuldig die Strafe hinnehmen musste. Gegen Abend liess ich den Mann, obwohl er ein Russe war, unter dem Vorwand irgend welche Arbeiten zu verrichten zu mir kommen, beschenkte ihn - obwohl es widerrechtlich und verboten war - mit Lebensmitteln und Tabak, sowie mit einem kräftigen Zug aus einer Schnapsflasche.

Der dankbare Blick aus seinen treuherzigen und verweinten Augen war mir mehr wert, als tausend Dankesworte und ich hatte das Gefühl, ein Unrecht gemildert zu haben.

3.3     Rückzug

Wie schon erwähnt, haben sich die Fronten im Raume Lublin - Radom durch Heranziehung starker russischer Kampfverbände derart versteift, dass an ein weiteres Vorgehen kaum zu denken war, umso weniger, als der eigene Nachschub an Munition und Verpflegung zufolge der grossen Entfernungen von den Depots unzureichend geworden ist.

Die Stellungen konnten demnach der ständig wachsenden feindlichen Übermacht nicht mehr gehalten werden und mussten zwecks besserer Verteidigung bis an die Ausläufer des polnischen Mittelgebirges Tomaschow-Kielce zurückgenommen werden. Durch diese unerwartete Umgruppierung entstand in dem rückwärts gelegenen Etappengebiet eine derart panikartige Verwirrung, dass die zur eigentlichen Front führenden Nachschubwege durch die kopflos rückflutenden Trainkolonnen gänzlich verstopft wurden. Und das waren erst die Anfänge der uns drohenden ersten Katastrophe des bisher siegreichen Vormarsches.

Den grössten Anteil an diesem Unheil hatten ohne Zweifel die zur Kriegsdienstleistung herangezogenen, damals noch unter russischer Herrschaft lebenden Polen mit ihren landesüblichen Fahrzeugen, die eine höllische Angst vor der Gefangennahme durch Kosaken hatten. Entweder verliessen sie ihre Fahrzeuge fluchtartig, oder aber brachen sie seitwärts aus der Fahrtkolonne aus und versperrten damit alle Ausweichmöglichkeiten für die zur Front diktierte, sehr dringend benötigte Munitions-und Verpflegungskolonne. Dieser unhaltbare Zustand dauerte erst einige Tage und hatte schon zur Folge, dass die an der Front stehenden Truppen mangels Munition und Verpflegung die Stellungen aufgeben und weiter zurückgenommen werden mussten. In diesem nun wirklich entstandenem Chaos, in welchem sich die Nachrichten von der Front stündlich widersprachen, verlor auch ich die Verbindung mit meiner Eskadron, die mit anderen Kavallerie-Einheiten die Aufgabe hatte, den Rückzug der Truppen zu decken.

Ich schloss mich daher an den Gefechtstrain des Divisionskommandos, welcher unter dem Befehl eines Offiziers stand und trat mit diesem den unheilvollen Rückzug an. Hier erst stellten sich die organisatorischen Mängel der Heeresverwaltung in Bezug auf Normung der für die Feldtruppen bestimmten Munitions-Verpflegungs- und sonstigen Gerätewagen in katastrophaler Folge heraus, weil diese breitspurigen, schwerfälligen und auf hohen Rädern nur für gute Strassen gebaute Wägen auf den ganz engen, ausgefahrenen und nur mit kleinen landesüblichen Fahrzeugen befahrbaren Feldwegen gänzlich ungeeignet und ein Hinderniss ersten Ranges darstellten. Sehr viele dieser Ungetüme überstanden diesen ersten Rückzug nicht.

Auf zerfahrenen und durch tiefe Schlaglöcher zum grössten Teil unpassierbar gewordenen Feldwegen verbrachten wir die ersten zwei Tage und Nächte - mit Ausnahme der durch Stockungen verursachten Aufenthalte - auf ständiger Flucht vor dem nachdrängenden Feind. Gegen Abend des zweiten Tages war es soweit, dass wir kaum meterweise vorwärts kamen, denn der Weg führte uns durch einen Wald, welcher sumpfigen Boden hatte. Hier arbeiteten in ununterbrochener Tages- und Nachtarbeit viele Pioniereinheiten, welche die Sumpfstellen und andere Weghindernisse durch Baumstämme, Äste und dergleichen halbwegs befahrbar machen sollten. Aber alle ihre Mühen waren vergeblich, denn die Kolonnen liessen sich nicht halten, drängten vorwärts und versanken bis zur Achse im Sumpf. Die Offiziere der Artillerie-und Munitionskolonnen dagegen bedrohten die anderen Trainkolonnenführer mit vorgehaltener Pistole, um sich die ihnen allgemein zustehenden Rechte der Vorfahrt zu verschaffen und veranlassten auf ihre Verantwortung hin, dass Wägen, die ein Hinderniss wegen Radbruch oder erschöpfter Pferde darstellten, aus der Fahrbahn geworfen wurden. Die meisten dieser Hindernisse verursachten die schon erwähnten schweren Heereswagen, welche infolge ihrer breiten Radspuren entweder rechts oder links vom Weg im Schlamm versanken. Es war eine unheilvolle Nacht voller Lärm durch verschiedene Befehle, Zurufe, Streitigkeiten und Peitschenhiebe auf die Leiber der zu Tode erschöpften Pferde. Inzwischen rückte aber auch die lärmende Kampffront an uns heran und steigerte stündlich bei jedem von uns das Angstgefühl, dass wir aus diesem Sumpfkessel nicht mehr herauskommen und in die Hände des Feindes geraten. Diese Bedenken hatte wohl auch das Divisions-Kommando und setzte daher alle seine verfügbaren Reserven ein, um dieses Waldstück, dessen sumpfiger Boden fast den ganzen Divisionspark mit Feldlazaretten, Bäckereien und sonstigen Verpflegungsdienststellen sowie zahlreichen Artillerie-und Munitionskolonnen festhielt, dem Zugriff des Feindes zu verwehren.

Den einzigen Trost, den uns dieser Wald bot, war die Gewissheit, dass wir hier vor einem massierten Angriff der Kosaken geschützt waren, obwohl wilde Gerüchte behaupteten, solche bereits in der Nähe gesichtet zu haben. Da die Situation an der nahen Front immer bedrohlicher wurde und das Divisions-Kommando die im Walde eingeschlossenen Wagenkolonnen nicht verlieren wollte, wurde angeordnet, die Wägen durch Abladen unwichtigen Ballastes zu erleichtern, um dadurch ein schnelleres Vorwärtskommen zu ermöglichen.

So denkbar einfach diese Anordnung auch war, die Durchführung derselben bereitete jedoch viele Schwierigkeiten, umsomehr, als sich niemand entschliessen konnte etwas abzuladen, weil er dafür keine Verantwortung übernehmen wollte. Auch ich befand mich in derselben schwierigen Lage, denn ich konnte allein darüber nicht entscheiden, was ich als unwichtigen Ballast zurücklassen sollte. In all' diesem Hin und Her gewahrte ich plötzlich den Zugführer Adler mit 8 Reitern auf mich zukommen, der mir als rettender Engel erschien, indem er mir den Befehl meines immer vorsorglichen Rittmeisters überbrachte, ausser Feldküche, Küchen-und Bagagewagen alle übrigen Wagen stehen zu lassen und trachten, unbedingt diese 3 Fahrzeuge  auf Umwegen sofort in Sicherheit zu bringen. Hier war schnelles Handeln notwendig, denn nach den Berichten des Zugführers war die nahe Front kaum mehr zu halten.

Wir spannten von den zurückgelassenen Fahrzeugen die Pferde aus, kippten die Wägen aus der Fahrbahn und verwendeten die freigewordenen Pferde als Vorspann für unsere 3 Fahrzeuge. Die 8 Reiter ritten voran und suchten für uns ausserhalb des Weges die bestmöglichen Übergänge für das Durchkommen im Sumpf und halfen tatkräftig bei der Überwindung besonders schwieriger Stellen. Ich selbst bezweifelte das Gelingen dieses Unternehmens, denn oft sanken die Pferde bis zum Bauch in den Sumpf und konnten nur durch vorgeworfene Holzklötze, Äste und Reisigbündel vor einem Untergang bewahrt werden. Es war eine Fahrt auf Gedeih und Verderb und ich war den vielen Helfern dankbar, weil mir in solchen schwerwiegenden Fällen die Erfahrung der vorwiegend der Landwirtschaft angehörenden Soldaten fehlte. Nach vielen Stunden der mühevollen Fahrt gewahrten wir zu unserer Freude, dass der Sumpf fester, der Boden durch Sandschichten härter und damit befahrbarer wurde.

Alles war aber noch nicht überwunden, denn es harrte unser noch sehr viel Geduld und Arbeit, weil wir oft Bäume fällen oder weite Umwege einschlagen mussten um durch den dichten Wald zu gelangen, dabei gleichzeitig auch die Richtung zu dem von uns verlassenen Weg einhalten. Endlich lichtete sich der Wald und wir konnten - dank unserer vielen Vorspanne - über Felder und Wiesen längst des mit Fahrzeugen aller Art verstopften Weges vorwärts kommen. Der Zugführer hatte vom Rittmeister auch die Anweisung, in welchem Ort wir das Eintreffen der Eskadron abwarten und weitere Befehle empfangen sollten.

Ehe wir das vom Rittmeister für unseren Aufenthalt bestimmte Dorf erreicht haben, war es bereits Nacht geworden, doch der aufgegangene Mond ermöglichte uns einigermassen etwas zu sehen. Überanstrengt von den vielen Strapazen und hungrig wie wir waren, beschloss ich für die Mannschaft ein warmes Essen vorzubereiten, auch als Vorsorge für die zu erwartende Eskadron. Da wir durch den Rückzug nicht in der Lage waren Frischfleisch zu bekommen, liess ich aus Fleischkonserven mit Reis gekocht ein von den Soldaten immer begehrtes Gericht herstellen. Auch die Pferde mussten gepflegt, gefüttert und getränkt werden. Wir waren nun etwa 12km hinter der noch immer beweglichen Front und da uns der Ort keine besondere Sicherheit bot, mussten wir uns am Ortseingang durch eigene Wachen gegen mögliche Überfälle selbst schützen.

Es war eine verhältnismässig ruhige Nacht und nur aus der Ferne hörte man ab und zu das Bellen eines Maschinengewehrs, Aufsteigen von Leuchtkugeln und dumpfe Einschläge von Artilleriegeschossen. In diese Stille mengten sich immer mehr hörbar die Hufschläge einer dem Dorf sich nähernden Kavallerietruppe. Mit Freude und sichtlicher Erleichterung vernahmen wir die unseren geübten Ohren so vertrauten Geräusche und erwarteten gespannt die angekündigte Ankunft unserer Eskadron. Im selben Augenblick jedoch kam ein, von der am Ortseingang stehender Wache bestimmter Husar mit der aufregenden Meldung zu mir gelaufen, dass sich dem Dorf eine kleine Abteilung - wahrscheinlich Kosaken - nähere. Ich gab der Wache die Order Deckung zu nehmen, nicht zu schiessen und den feindlichen Trupp durch das Dorf reiten zu lassen. Wir selbst verschanzten uns aber mit geladener Schusswaffe hinter die eigenen Wägen und erwarteten klopfenden Herzens die weiteren Vorgänge.

Immer deutlicher hörten wir die Hufschläge der Pferde und das unvermeidliche Klappern der Rüstungen. Vorsichtig und nach allen Richtungen sich sichernd - was einen sehr guten Ausbildungsgrad verriet - tasteten sich die Reiter langsam durch das Dorf. Erst aus der Nähe bemerkten wir zu unserem allgemeinen Entsetzen, dass sie waagrecht haltend so eine Art langer Stöcke trugen, was wir bei Reitern bisher noch nicht gesehen haben. Und siehe da, diese etwa 20 Mann starke Truppe entpuppte sich als deutsche Lanzenreiter-Einheit. Ich selbst habe diese Reitergattung des deutsches Heeres bisher nur von Abbildungen gekannt. Hätten die Reiter statt der Pickelhauben - dem Wahrzeichen der deutschen Wehrmacht - andere Kopfbedeckungen getragen, hätte ich gedacht, dass es sich hier um eine Geistererscheinung handelt.

Nachdem ich mir Gewissheit verschafft habe mich nicht getäuscht zu haben, trat ich vor die ankommenden  - im Augenblick auch etwas bestürtzen Reiter - und rief ihnen laut "Heil Waffenbrüder" zu. Meine um mich versammelten Soldaten - die von der Existenz eines Lanzenreiters bisher keine Ahnung  hatten - begafften diese wie Wundertiere. Nun begann das übliche Frage-und Antwortspiel und ich erfuhr, dass es sich um eine versprengte Gruppe des deutschen Ulanen-Lanzenregiments handelt, die einer am rechten Flügel unseres Armeekorps kämpfenden deutschen Division angehörte. Wir besprachen die jüngsten Kriegsereignisse und ich bot ihnen aus unserer Feldküche ein warmes Essen an, welches sie nicht nur dankbar annahmen, sondern auch mit behaglichem Wohlgefallen verzehrten. Indessen betrachteten unsere Husaren mit Kennerblicken die unterschiedlichen Ausrüstungsgegenstände unserer Waffenbrüder und kamen einstimmig zu dem Urteil, dass diese der modernen Kriegsführung nicht mehr voll entsprechen. Allein schon der Umstand, dass der Lanzenreiter seine Waffen (Karabiner und Säbel) an den Packtornistern des Sattels angeschnallt hat und während des Gefechtes nur mit der am rechten Unterarm befestigten Lanze bewaffnet ist, macht ihn im Falle eines Sturzes vom Pferd oder dergleichen ohne jedwede Waffe gänzlich hilflos.

Nach kurzer Rast setzten die Männer gestärkt ihren Ritt fort und wir warteten ungeduldig auf unsere Eskadron, die erst vor Morgengrauen, aber auch nicht vollzählig, angekommen ist. Ich erstatte dem Rittmeister Bericht über alle Vorgänge und wir bedauerten den Verlust der übrigen Wägen, insbesondere aber der schwer ersetzbaren Feldschmiede mit den vielen Reservehufeisen sowie der Lebensmittel-und Futtervorräte für die Pferde. Bei dieser Gelegenheit erfuhr ich, dass das Divisions-Kommando bei diesem Rückzug fast zwei Drittel ihres umfangreichen Wagenparks samt Feldbäckereien, Nachrichten-Sanitäts-Verpflegungs-und vielen anderen Abteilungen, sowie unzählige Geschütze und Munitionwagen verloren hat. Die Verluste an Gefallenen, Verwundeten und Vermissten standen noch nicht fest.

Auch die Eskadron hatte Verluste an toten und verwundeten Mannschaften und Pferden. Ich musste diese in besondere Verlustlisten aufnehmen, um sie später dem Ersatzkommando zu melden. Die allgemeine Stimmung war dementsprechend bedrückt, doch es blieb keine Zeit darüber den Kopf hängen zu lassen.

Da die Eskadron die Order hatte weiterhin den Rückzug zu decken, bekam ich den Befehl, mich mit dem Train immer in süd-östlicher Richtung in den Raum Kattowitz zurückzuziehen. Auf diesem weiten Rückmarsch erhielt ich täglich Anweisungen, wo ich die Eskadron erwarten sollte, ansonsten aber war ich auf mich selbst angewiesen und hatte volle Entscheidungsfreiheit, weil ich keiner der vielen, sich in gleicher Richtung zurückziehenden Kolonnen unterstellt war. Dieser trostlose Zustand dauerte schon etwa eine Woche, als mich durch einen Meldereiter der Eskadron der Befehl erreichte, für die Eskadron in einem Ort in der Nähe von Myslowitz Unterkünfte - für längere Zeit geeignet - sicherzustellen.

Diese erfreuliche Nachricht stärkte unser Vertrauen umsomehr, als wir erfahren haben, dass der feindliche Druck nachgelassen und die Fronten wieder stabil geworden sind. Mit ganz besonderer Genugtuung bemerkten wir, dass auf den Strassen weit mehr Kolonnen verschiedener Art wieder in Richtung Front fahren, als in den Tagen vorher. In dem vorbestimmten Raum angekommen, fand ich ausserhalb von Myslowitz eine kleine Eisenwarenfabrik, die durch die Kriegsereignisse aufgelassen wurde und sich als Unterkunft für die Eskadron günstig eignete. Wir richteten die Lagerhallen als Pferdeställe und im Fabrikgebäude Unterkünfte für die Mannschaften her. Ein kleines Verwaltungsgebäude wurde als Büroraum und ettliche Räume für die Wachtmeister bestimmt. Für die Offiziere fanden sich in einer angrenzenden Villa des Fabrikbesitzers standesgemässe Unterkünfte. Ich benutzte die mir noch zur Verfügung stehende Zeit für die Reinigung des gesamten Objektes, besorgte Stroh für die Lagerstätten und Pferdeställe und ergänzte in der nahen Stadt durch Empfang von einer Verpflegungs-Dienststelle meine Lebensmittel-und Futtervorräte. So versorgt erwartete ich die Ankunft meiner Eskadron und war zufrieden, dass diese zentrale Unterkunft bei meinem Rittmeister - und überhaupt bei Allen - Anklag gefunden hat.

Nach den ersten Ruhetagen widmete sich die Eskadron vor allem der durch den Rückzug vernachlässigten Reinigung von Mann und Pferd, sowie der Instandsetzung von Waffen und Ausrüstung. Ich selbst war mit Arbeiten überhäuft, denn es mussten rückständige Soldzahlungen errechnet und ausbezahlt, Verlustlisten von Gefallenen und Vermissten, Meldungen über Verwundete und vieles andere angefertigt und dem Ersatzkommando nach Komorn übersandt werden. Viel Zeit beanspruchte auch der tägliche Empfang von Lebens-und Futtermitteln bei den in Myslowitz etablierten Verpflegungs-Dienststellen. Es ist kaum eine Woche vergangen, als uns die Nachricht erreichte, dass für die Eskadron ein Ergänzungstransport für die Verluste an Mannschaften, Pferden und Ausrüstung unterwegs sei und Vorbereitungen zum schnellen Entladen getroffen werden sollten.

Mit diesem Transport wurde uns als Ersatz für den verwundeten Wachtmeister Siegel ein Wachtmeister Aschenbrenner zugeteilt, der an der Militärakademie in Wiener-Neustadt als Reilehrer tätig war. Er entstammte einer bekannten Familie, die als Schriftsteller, Verleger und Politiker in der Teplitz-Schönauer Gegend beheimatet waren und war selbst ein gebildeter Mann. Aus seiner bisherigen, verhältnismässig ruhigen Tätigkeit herausgerissen, konnte er sich schwer in die veränderten Verhältnisse an der Front zurechtfinden und klammerte sich mit hunderten von Fragen und Wünschen ständig an mich. Dabei waren wir zur Zeit noch sehr gut aufgehoben, verpflegt und es fehlten nur Kleinigkeiten zum normalen Kasernenleben. Doch er sollte recht bald auch das Gegenteil erleben.

Durch diese Ergänzungen war die Eskadron wieder auf Kriegsstärke gebracht und voll einsatzfähig. Da auch die in der Umgebung untergebrachten Kampfverbände und Dienststellen der aus der Front herausgezogenen 33sten Inf.Division ihre erlittenen Verluste durch Nachschubtransporte ergänzt bekommen haben, erwarteten wir täglich einen neuen Einsatz.